Komplexität ist nicht steuerbar – Beobachter des Zufalls sind die besten Projektmanager #pmcampber

„Katzen, Toilettenspülungen, Zahlen, das Kanzleramt, Schamhaare – all das gibt es. Aber die eine große Tüte, in die alles hineinpasst, existiert nicht“, erläutert der Philosoph Markus Gabriel.
„Katzen, Toilettenspülungen, Zahlen, das Kanzleramt, Schamhaare – all das gibt es. Aber die eine große Tüte, in die alles hineinpasst, existiert nicht“, erläutert der Philosoph Markus Gabriel.

Das dritte PM Camp Berlin widmet sich der Komplexität und ruft zu einer Blog-Parade auf. Motto: „Komplexität – reduzieren oder erhöhen?“ Schon in der Frage steckt ein kleiner Denkfehler, wenn wir uns die Wikipedia-Definition anschauen:

„Komplexität bezeichnet allgemein die Eigenschaft eines Systems oder Modells, dessen Gesamtverhalten man selbst dann nicht eindeutig beschreiben kann, wenn man vollständige Informationen über seine Einzelkomponenten und ihre Wechselwirkungen besitzt“.

Wenn das so ist, wie soll es denn möglich sein, Komplexität zu reduzieren oder zu erhöhen? Das klingt ein wenig mechanistisch nach Steuerbarkeit. Eine menschliche Schwäche. Wir suchen nach einem metaphysischen Grundprinzip, mit dem wir die Welt erklären wollen. Etwas pragmatischer geht der Bonner Philosophie Professor Markus Gabriel vor: Die Welt, die wir erblicken, ist im Wesentlichen ein Abbild unserer Konstruktionen.

„Katzen, Toilettenspülungen, Zahlen, das Kanzleramt, Schamhaare – all das gibt es. Aber die eine große Tüte, in die alles hineinpasst, existiert nicht“, erläutert Gabriel.

Um die Welt als Ganzes zu erfassen, müsse man von draußen auf sie schauen, und dieser Blick müsste auch sich selbst wahrnehmen. Da das unmöglich sei, habe sich auch die faustische Suche nach dem erledigt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Das Forschen nach einer „Weltformel“, die die Naturwissenschaftler so lieben. Besonders jene, die sich auf das Parkett der Sozialwissenschaften, Finanzmärkte oder Unternehmensberatungen wagen.

„Es hängt eben nicht alles mit allem zusammen.“

Die Welt sei mitnichten nur der Bereich der Naturwissenschaften, auch Träume, Staaten und Kunstwerke seien schließlich Teil der Welt. Sie ist allumfassend, und deshalb komme, definitionsgemäß, die Welt in der Welt nicht vor, sie habe keine Eigenschaften, sei also gar kein erkennbarer Gegenstand.

Von einem wissenschaftlichen „Weltbild“ zu sprechen oder Formeln zur Erklärung der Welt vorzulegen, sei daher eine Anmaßung. Es gebe nämlich auch „alles, was es nicht gibt“, Einbildungen zum Beispiel, alles, was eine Tatsache in der Welt ist und Gegenstand der Betrachtung werden kann. Niemand ist ernsthaft in der Lage, zu erklären, dass die Elementarteilchen objektiver, wirklicher oder tatsächlicher seien als die Gedanken, die wir uns machen, oder die Farben der Salatbar.

Wir sollten uns nicht von den Weltbild-Erklärern festnageln lassen, die sich als unantastbare Autoritäten inszenieren und uns einhämmern, was wir als „wirklich“ oder „existent“ wahrzunehmen haben. Das gilt für angeblich eineindeutige neuronale Prozesse wie für Algorithmen, die den Zufall beerdigen wollen.

Makroökonomen, Statistiker, Planungsbürokraten, Analysten und selbst ernannte Wirtschaftsexperten sind überhaupt nicht in der Lage, das Unvorhergesehene zu prognostizieren. Sie schauen zu oft in den Rückspiegel, um Erkenntnisse für die Zukunft zu gewinnen. Friktionen, Zufälle, bahnbrechende Entdeckungen, konjunkturelle Bewegungen oder politische Katastrophen kann man nicht mit statistischen Methoden berechnen. Die meisten Kassandra-Rufer verfahren in Börsensendungen, Talkshows oder Büchern mit dem Titel „Wie ich den Crash vorgesehen habe“ nach dem Motto verfahren: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist“. Es sind moderne Wanderheilige, die Rezepte gegen den drohenden Weltuntergang verkünden.

„Das Management der Zukunft findet unter den Bedingungen der Komplexität und Zufall statt. Zufallsfluktuationen und Komplexität erzeugen nichtlineare Dynamik“, schreibt der Wissenschaftstheoretiker Klaus Mainzer in seinem Buch „Der kreative Zufall – Wie das Neue in die Welt kommt“.

In unsicheren und unübersichtlichen Informationsräumen könnten Menschen nur auf Grundlage beschränkter Rationalität entscheiden und nicht als homo oeconomicus. Der Laplacesche Geist eines linearen Managements von Menschen, Unternehmen und Märkten sei deshalb zum Scheitern verurteilt. Auch wissenschaftliche Modelle und Theorien seien Produkte unserer Gehirne.

„Wir glauben in Zufallsreihen Muster zu erkennen, die keine sind, da die Ereignisse wie beim Roulette unabhängig eintreffen. Wir ignorieren Spekulationsblasen an der Börse, da wir an ein ansteigende Kursentwicklung glauben wollen“, erläutert Professor Mainzer.

Zufall führe zu einer Ethik der Bescheidenheit. Es gebe keinen Laplaceschen Geist omnipotenter Berechenbarkeit. In einer zufallsabhängigen Evolution sei kein Platz für Perfektion und optimale Lösungen. Zufällig, spontan und unberechenbar seien auch Einfälle und Innovationen menschlicher Kreativität, die in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte als plötzliche Ereignisse beschrieben werden. Ohne Zufall entstehe nichts Neues.

„Nicht immer fallen die Ereignisse und Ergebnisse zu unseren Gunsten aus – das Spektrum reicht von Viren und Krankheiten bis zu verrückten Märkten und Menschen mit krimineller Energie“, resümiert Mainzer.

 Politiker, Entdecker und Unternehmer sollten weniger auf Top-down-Planung setzen, sondern sich auf maximales Herumprobieren und das Erkennen der Chancen, die sich ihnen bieten, konzentrieren, rät der frühere Börsenhändler Nassim Taleb, Autor des Opus „Der Schwarze Schwan – Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“.

Die beste Strategie bestehe darin, möglichst viel auszuprobieren und möglichst viele Chancen zu ergreifen, aus denen sich Schwarze Schwäne ergeben könnten. Es ist viel wichtiger, sich mit dem Phänomen der Kontingenz auseinanderzusetzen: Am Reißbrett lässt sich die Zukunft nicht zimmern. Kontingenz heißt: Es geht auch anders – es gibt mehrere Möglichkeiten. Statt die Zeit mit dümmlichen Visionen, Strategien und Plänen zu verschwenden, sollten sich Organisationen als Beobachter des Zufalls bewähren. Gelegenheiten erkennen, statt einer Schimäre der rationalen Entscheidung hinterherzulaufen. Ein Unternehmer ist für den Ökonomen Israel Kirzner ein Häscher des Okkasionellen – ein Chancenverwerter. Occasio ist die Göttin der Gelegenheit mit einem nach vorne fallenden Haarschopf, an dem man sie zu ergreifen hat; wer diesen Augenblick verpennt, hat keine zweite Chance, denn von hinten ist die Dame kahl.

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