Mit in IT gegossener Alt-Scheiße macht man Google, Facebook, Amazon und Co. keine Konkurrenz – Käsekuchen-Diskurs um 16 Uhr #nöchn

Käsekuchen-Diskurs

In einer digitalen Welt gibt es unendlich viele Kombinationen für neue Dienste und Produkte, die selbst die Big Data-Analysten nicht antizipieren können – auch wenn sie noch soviel Datenschrott sammeln. Es gibt zu viele Variablen, weil immer auch unvorhersagbares menschliches Verhalten eine Rolle spielt. Oder wie es Douglas North, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, ausdrückt:

„Der Preis der Präzision (von theoretischen Modellen, gs) ist die Unfähigkeit, Fragen des realen Lebens zu behandeln.“

In den netzökonomischen Diskursen sollte man mehr auf Sicht fahren und überlegen, wie man die amerikanischen Plattformen für das eigene Business nutzen kann. So kehrt man das parasitäre Gedankengut der kalifornischen Monopolfetischisten ins Gegenteil. Parasiten, Hacker, Daten-Piraten, Wissensdiebe, Kopisten und Collage-Künstler können in diesem Spiel höchst nützliche Zeitgenossen sein. Sie stören die Monopolisten.

„Die Macht suchte und sucht das Zentrum einzunehmen. Wenn sie von diesem Zentrum aus wirken, ihre Wirksamkeit bis an die Grenzen des Raumes entfalten, wenn sie bis an die Peripherie reichen soll, so ist es notwendig, dass es kein Hindernis gibt, dass der Raum um ihre Aktion homogen ist. Kurz, der Raum muss frei von Rauschen, von Parasiten sein. Um Gehorsam zu finden, muss man gehört, muss man verstanden werden, muss die Ordnungsbotschaft Stille vorfinden“, schreibt der Philosoph Michel Serres in seiner Abhandlung „Der Parasit“.

Parasiten stören die Stille. Das ist uns übrigens schon einmal perfekt gelungen. Besonders die deutsche Industrie, konnte ihre Rückständigkeit Ende des 19. Jahrhunderts nur durch kluge Imitation kompensieren.

„Wie heute die Chinesen, haben damals deutsche Maschinenbauer ausländische Erfolgsmodelle in großem Stil eingekauft: Sie zerlegten die Maschinen in England und bauten sie im Siegerland oder im Schwäbischen neu auf. Durchs Nachmachen zu Erfahrung gekommen, haben die Deutschen sodann ihre Maschinen billig ins Ausland verkauft“, berichtet Rainer Hank von der FAZ.

Er verweist auf ein besonders dreistes Kopistenwerk in Solingen. Dort wurden minderwertige Messer aus Gusseisen hergestellt und mit dem Stempelaufdruck „Sheffield“ veredelt – das galt damals als Markenzeichen der englischen Messerproduktion.

„Ironie der Geschichte: Als Abwehrmaßnahme zwang England Deutschland das Label ‚Made in Germany‘ auf, damit man die mindere Ware erkennen sollte. Aber den Deutschen gelang es, das Stigma zum Qualitätssiegel umzuschmieden“, so der FAZ-Redakteur.

Degradieren wir die Silicon Valley-Aufschneider zu nützliche Idioten einer Ökonomie, die mehr Zugänge und Kompetenzen für wirtschaftliche Aktivitäten liefert.

In Deutschland und Europa muss man Strategem-Kompetenzen aufbauen – nicht zu verwechseln mit Strategie.

“Strategem ist ein anderes Wort für ‘List’. Unter Strategie verstehen Manager üblicherweise ‘langfristige Planung im Hinblick auf die grundsätzlichen Unternehmensziele’, im Gegensatz zur Taktik im Sinne von kurzfristiger Ziele”, so der Sinologe Harro von Senger, ein Kenner der chinesischen Strategem-Lehre.

List wird in der westlichen Welt häufig mit Täuschung gleichgesetzt. Von dieser Verengung sollten sich westliche Führungskräfte lösen, fordert Senger und verweist auf die beste chinesische Umschreibung von List:

“Etwas Außergewöhnliches erzeugen, um den Sieg zu erringen.”

List ist also eine schlaue, außergewöhnliche verblüffende Problemlösung. Täuschung spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Wenn sie zur Anwendung kommt, dann eher als Bluff, wie beim Pokern.

In der Wirtschaftswissenschaft wird neben der Netzökonomie auch dieses Thema völlig ausgeblendet, obwohl die Wirtschaft ein idealer Nährboden für die Anwendung von Strategemen ist wegen der zahlreichen Informations-Asymmetrien und der zunehmenden Unordnung des wirtschaftlichen Geschehens durch digitale Innovationen. Bei den Apologeten einer Theorie des rationalen Verhaltens gibt es keinen Platz für listenreiches Handeln.

Was könnte von den 36 Strategemen im Wettbewerb mit den kalifornischen Technologie-Konzernen zur Anwendung kommen? Beispielsweise das Strategem Nr. 7: Aus einem Nichts etwas erzeugen.

“Das nicht ist kein Vakuum, sondern zum Beispiel eine Mücke, aus der man einen Elefanten macht oder eine verrückte Idee, die sich als Goldgrube erweist”, erläutert Senger.

Es gehe dabei vor allem um einen Kreativitäts-Wettstreit. Man überflügelt die Konkurrenz dank kühner, in Leeräume der Forschung und Entwicklung vorstoßender Ideen und mit phantasievoll-schöpferischem Vorausdenken anstelle eines Nachdenkens, das sich nur vom Alltagstrott treiben lässt.

“Weltübergreifende geistige Offenheit und vernetzendes Denken sind gefragt”, fordert Senger.

Dabei ist vor allem neues Denken gefragt:

„Viele der heutigen digitalen Systeme und Köpfe sind aus dem alten Geist sowie den alten Strukturen geboren. Die kann man morgen in die digitale Tonne treten. Das heisst aber, wer ‚digital‘ propagiert, ohne dem Digitalen eine Richtung zu geben, propagiert in IT gegossene Alt-Scheiße“, kommentiert Netzökonomie-Campus-Kollege Winfried Felser

Die alten Wertkonzepte (Kostenrechnung) und die alten Planungslogiken seien ungeeignet, wenn nicht mehr abgegrenzte und starre „materielle“ Systeme geplant und bewertet werden sollen, sondern fluide, amorph-vernetzte Kompetenz-Netzwerke, bei denen auch nicht mehr nur Transformation und Transaktion zu beleuchten sind, sondern Competence-Networking im weitesten Sinne.

Viel Stoff für den heutigen Netzökonomie-Campus mit Käsekuchen ab 16 Uhr.

Ihr könnt Euch an der Diskussion mit dem Hashtag #nöchn beteiligen. Man hört, sieht und streamt sich 🙂

Über die Koalition der Google-Amazon-Heulsusen – Regulierung statt Digitalstrategien

Über die Zukunft des stationären Einzelhandels
Über die Zukunft des stationären Einzelhandels

Mal klagt der stationäre Einzelhandel über die vermeintliche Allmacht von Amazon mit weinerlichen Statements über den Smartphone-Beratungsklau, kleistert Schaufenster mit schwarzen Pappen zu und verweist auf die so wunderhübsche Urbanität von auswechselbaren Fußgängerzonen mit dem Flair von bepissten Blumenkübeln. Mal wettert der Datenschutz-Deichgraf über die tückische Herrschaft von Facebook und erklärt jedem Like-Button in Ostfriesland den Krieg. Und immer wieder muss Google als Projektionsfläche für aufgeregte Jägerzaun-Hausmeister, besorgte Bürgermeister, zerknirschte Verleger, analoge Gestern-Manager und fürsorgliche Kindermädchen-Politiker herhalten, um uns Internet-Nutzer vor dem Fegefeuer des teuflischen Suchmaschinen-Giganten zu bewahren.

Schaut man sich die Koalition der Google-Heulsusen an, entdeckt man sehr viele Parallelen zu den Leistungsschutz-Gichtlingen, die sich über Schutzrechte noch ein Weilchen über Wasser halten wollen mit freundlicher Unterstützung der politischen Klasse in Berlin und Brüssel. Dann gibt es die NSA-Verharmloser, die die Datenschutz-Verordnung der EU blockieren, davor warnen, sich in netzpolitischen Debatten allzu sehr auf die NSA zu versteifen, im gleichen Atemzug Spionage-Werkzeuge einkaufen und Lippenbekenntnisse für den Datenschutz abgeben.

Rhetorische Kraftprotzereien statt kartellrechtliche Klarheit

Sigmar Gabriel und die EU-Kommission überbieten sich mit martialischen Wortmeldungen, um zu demonstrieren, wie man einen amerikanischen Konzern an die kurze Leine nimmt.

„Marktbeherrschung ist nicht illegal und einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung von Google muss man erst einmal nachweisen“, sagt Professor Justus Haucap, ehemaliges Mitglied der Monopolkommission.

Stellt man den Missbrauch der Marktmacht eindeutig fest und kommt es zu einer Entflechtung von Google, bleibt zu prüfen, ob es auch den Interessen der Verbraucher dient. Werden die Dienste sowie Inhalte von der generischen Suche abgetrennt, könnte es bei der Suche zu Nachteilen für Nutzer kommen. Es ist nach Ansicht von Haucap keinesfalls vorteilhaft, Informationen nicht mehr direkt angezeigt zu bekommen – etwa Wetterberichte oder Aktienkurse. Würde das Bundeskartellamt für den deutschen Markt eine Entflechtung verfügen, hätte Google zwei Möglichkeiten. Man verkauft Dienste wie Youtube und Maps – was höchst unwahrscheinlich ist – oder man bietet diese Dienste in Deutschland einfach nicht mehr an. Dann freut sich höchstens die GEMA und MyVideo. Wenn es um Suchfunktionen geht, bleiben zudem noch Abgrenzungsfragen zu klären.

„Darf ich bei Amazon noch nach Büchern suchen oder ist das dann auch eine Suchmaschine? Für mich ist Amazon eine Suchmaschine. Wenn ich etwas über ein Buch wissen will, dann komme ich nicht auf die Idee, bei Google nachzuschauen“, betont Haucap.

Verlinkungsbehörden

Der Wirtschaftswissenschaftler hält die Entflechtung oder gar Zerschlagung von Google juristisch für nicht angemessen. Man würde viele Innovationsanreize kaputtmachen. Wichtiger sei Transparenz, die Google erfüllen muss. Andere Ideen, wie die Schaffung einer europäischen Suchmaschine, die von Chirac bis zum verstorbenen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher ernsthaft erwogen wurde, hält der Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie für lächerlich. Da würde man ein politisches Monstrum schaffen. Als Aufsichtsgremium würde sich so eine Art Rundfunkrat mit gesellschaftlich relevanten Gruppen anbieten, die über politisch opportune Linkergebnisse entscheidet – etwa bei der Einhaltung von Anti-Raucher-Kampagnen oder der Unterstützung von veganer Lebensweise. Ähnlich abstrus würde es in einer Google-Regulierungsbehörde ablaufen.

„Der Suchmaschinen-Konzern nimmt jährlich ungefähr 500 Änderungen des Suchalgorithmus vor. Das ist für mich eine Grusel-Vorstellung, wenn hier eine Behörde vorgeschaltet wird. Dann werden wohl Genehmigungen erst mit mehreren Jahren Verspätung erteilt“, meint Haucap.

Und wie steht es mit der personalisierten Suche? Führt sie zur Diskriminierung von Konkurrenten? Es wäre ziemlicher Schwachsinn, wenn man das Stichwort Fußball eingibt und weltweit die gleiche Trefferliste angezeigt wird, obwohl Google aus der Suchhistorie des Wettbewerbsökonomen weiß, dass er Fan von St. Pauli-Fan ist und entsprechende Suchergebnisse ganz weit oben angezeigt werden.

Geht es in den Beschwerden gegen Google wirklich um Verbraucherinteressen oder klagen vor allem jene, die unter der besseren Geschäftsstrategie des Silicon Valley-Riesen leiden? Für hausgemachte Probleme ist das Kartellrecht nicht zuständig. In den Kartellverfahren geht es nicht um die Geschäftsinteressen von wetter.com, Axel Springer, finanz.net oder auswechselbare Vergleichsportale, die sich beim Anblick von Google in die Hose machen. Es geht um die Interessen der Verbraucher.

Siggi soll den Einzelhandel retten

Ähnlich heuchlerisch argumentieren mittlerweile Funktionäre des Einzelhandels, die mehr Regulierungsinitiativen gegen Amazon ins Spiel bringen. Auch hier soll des Siggi Gabriel wieder richten, um in den kommenden fünf Jahren die drohende Schließung von 50.000 Läden abzuwenden. Noch vor drei oder vier Jahren ist das Problem der virtuellen Konkurrenten im Netz von Händlern heruntergespielt worden. Da es mit den Digitalstrategien des deutschen Einzelhandels eher beschämend aussieht, muss nun die Politik als Reparaturbetrieb herhalten.

Kunden erwarten im Netz schnellere Lieferung, bessere Beratung und personalisierte Informationen. Kein umständliches Herumsuchen, keine komplizierten Shop-Systeme, schnelle Bestellung, einfache Handhabung. Und was ich an Amazon so interessant finde: Alles aus einer Hand. Das hat der Hamburger Trendforscher Professor Peter Wippermann im ichsagmal-Interview so schön auf den Punkt gebracht: Amazon taucht in den deutschen Handelsstatistiken gar nicht auf. Der Online-Händler entzieht sich der Branchen-Segmentierung:

„Das hängt damit zusammen, dass es eben ein ganz anderes System ist. Amazon geht nicht über Branchen, sondern es geht über die individuell massenhafte Beziehung zu Kunden“, betont Wippermann.

Fußgängerzone

Entsprechende Anpassungen muss der stationäre Handel vornehmen.

„Das klassische Ladengeschäft muss nicht mehr Teil des Distributionsnetzes sein. Als Konsument möchte ich nur die allernötigsten Artikel an Ort und Stelle mitnehmen. Was darüber hinausgeht, soll mir nach Hause gebracht werden. Statt weit zu fahren, damit ich zu einem großen Sortiment komme, werde ich zu einem Showroom gehen, wo man mir das ganze Sortiment zeigt – echt oder virtuell“, sagt Moshe Rappaport, IBM-Experte für Technologie- und Innovationstrends.

Es müssten nicht mehr alle Artikel im Laden vorrätig sein. Es reiche vollkommen aus, alles zeigen zu können. Nicht mehr das Produkt steht im Vordergrund, sondern der Service. Bislang passiert genau das Gegenteil. Auf die Ausdünnung der Innenstädte, wo ganze Shop-Gruppen wie Musikgeschäfte, Videotheken, Buchläden oder Elektronik-Filialen verschwinden oder ein kümmerliches Dasein fristen, reagieren die Funktionäre des Handels mit Anti-Amazon-Kampagnen. Aber wie sieht denn die Realität in den Innenstädten aus?

Fußgängerzonen-Monotonie

In der Fußgängerzone von Bonn-Duisdorf existieren fünf Friseuren, vier Bäckereien, sechs Optiker, vier Döner-Grillmeister und die übliche Zahl von Telefon-Inkompetenz-hier-können-Sie-nicht-kündigen-Zentren. Nicht zu vergessen die unverzichtbaren Sonnenstudios mit ihren ganzjährig gut durchbräunten Beraterinnen, den obligatorischen Nagel-Fußpflege-Haarverlängerungs-Tempeln und Massage-Salons mit den Verkaufsschildern „Ohne Erotik“.

Was für eine Fachberatung bietet denn das Verkaufspersonal in den Fußgängerzonen-Läden? Wirkliche Profiberatung finde ich eher in Foren, YouTube-Filmen und bei den Kundenbewertungen im Netz, wenn sie nicht von irgendwelchen blöden Agenturen gefälscht werden. Beratung bekomme ich über virtuelle persönliche Assistenten, die meine Einkäufe optimieren, Produkte und Dienstleistungen bewerten und über die Expertisen anderer Kunden informieren. Unternehmen, die mit ihren vernetzt organisierten Kunden nicht mithalten können, verschwinden vom Markt. Der stationäre Handel muss das aber nicht unbedingt begreifen. Die ehrbaren Blumenkübel-Kaufleute könnten ja den 6. August zu einem jährlichen Anti-Internet-Berners-Lee-Protest-Tag ausrufen. An diesem Tag ging 1991 die erste Website online.