Ideen für den Netzökonomie-Campus – also für die Käsekuchen-Diskurse #NEO167x

losung-neo17x

Vor ein paar Wochen hatten wir eine Ideen-Runde für die netzökonomischen Käsekuchen-Runden, die wir in nächster Zeit organisieren wollen.

Hier die Vorschläge von Wilhelm Unrau, die man unter die Bilanzierung des Staates zusammenfassen kann:

1. Die Rechnungslegung der öffentlichen Hand muss nach dem Bilanzprinzip erfolgen. Das schließt eine Art GuV insofern ein, als eine auf Investitionsprojekte bezogene Rentabilitätsbetrachtung erfolgen muss.

2. Investitionen generieren Renditen und tragen ihre Kosten. Insofern ist es nicht egal, wofür die öffentliche Hand Geld ausgibt. Es muss unterschieden werden zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben.

3. Es gibt Bereiche, in die Private nicht (oder noch nicht) investieren: Infrastruktur, Grundlagenforschung, Bildung und allgemein Kunst Kultur Kommunikation (nicht Telefon). Investitionen in diesen Bereich sind vorzunehmen, auch bei existenter Staatsverschuldung. Die tatsächliche Rendite muss kontrolliert werden. Mischformen von privater und öffentlicher Investition sind zu prüfen, auch die Frage der rein privaten Finanzierung.

4. Eine Bilanz der öffentlichen Hand erst kann den tatsächlichen Verschuldungsgrad feststellen.

5. Wir leben in Zeiten eines großen Wandels vergleichbar dem des Überganges von der Agrar zur Industriegesellschaft. Őffentliche Investitionen sollen die Bereiche fördern, die in mittlerer Frist sinnstiftende Betätigungen bieten, deshalb Kunst, Kultur, Kommunikation, was auch ein Umdenken im Bildungswesen erfordert, weg vom Bologna-Modell, hin zur Förderung von Kreativität, Phantasie, Intelligenz – deutlich nicht nur in Mathematik und technischer Wissenschaft

So, das wären die entscheidenden Punkte für mich bzw die Themen, an denen ich arbeite.

vielleicht noch

6. Wertschöpfungsketten lassen sich auch im Bereich Kunst, Kultur und Kommunikation in Gang setzen. Schon heute arbeiten in der Kreativwirtschaft mehr Menschen in Deutschland als in der Automobilindustrie.

7. Um die Schnittstelle von Ökonomie und Politik deutlich zu machen, sollten wir wieder von der Politischen Ökonomie reden.

Soweit die Vorschläge von Wilhelm.

Von meiner Seite gab es ja eine Kolumne zur Ideen-Runde zum Thema: Wie gerecht ist die Netzökonomie?

Darüber denkt in der digitalen Technologieszene kaum einer nach. Umso mehr müsste sich die Wirtschaftswissenschaft mit diesen Fragen beschäftigen, fordert Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts.

Die Ökonomik sollte etwas zu möglichen und wünschenswerten Szenarien in der Zukunft sagen. Sie muss wieder Möglichkeitswissenschaft werden: Wie könne eine Ökonomie aussehen, die die Produktivitäts­fortschritte der Informationswirtschaft für einen Wohlstand nutzt, der bei möglichst vielen Menschen ankommt?

„Sind Postwachstums­gesellschaften denkbar, die dennoch eine hohe Lebensqualität für zehn Milliarden Menschen innerhalb der planetaren Grenzen schaffen? Wie sehen Perspektiven für einen zeitgemäßen Kapitalismus aus? Ein solches Zielwissen ist normativ, die zugrunde liegenden Normen bedürfen der Explizierung und der Begründung“, so Schneidewind.

In der Wirtschaft geht es immer um Wertentscheidungen. Jeder ökonomische Formelkonstrukteur ist gefordert, seine Weltsicht zu erklären. Das gilt auch für jene, die auf Bühnen über die Notwendigkeit der Digitalisierung schwätzen, aber sich in Wirklichkeit hinter Begriffskaskaden verstecken. Die Keynote-Dauerredner sprechen von Digitaler Transformation, Digitalem Darwinismus (sozusagen die Donald Trump-Variante des Business-Darwinismus), Disruption oder Innovation, erläutern aber nicht, welche Programmatik dahinter steckt.

„Wenn wir wirklich eine inklusive, nachhaltige und verantwortliche Gesellschaft und Ökonomie wollen, müssen wir unsere Bilanzen und Logiken ändern. Ich halte das für fundamental. Was sind die grundlegenden Paradigmen und Theorien der Ökonomie? Die sind implizit normativ. Am Ende ist Digitalisierung kein Selbstzweck. Es gibt auch keinen Determinismus (die Anschauung, dass alle Ereignisse im Voraus festgelegt sind und es keinen freien Willen gibt, Anm. des Autors). Wir haben gestalterische Freiheiten. Wohin führen unsere Denkansätze?“, fragt sich Winfried Felser im Netzökonomie-Campus-Gespräch.

Dazu passt auch das Thema: Offene Demokratie-Diskurse mit Unternehmern und Managern? #PeterDrucker

Höchst spannend finde ich auch die Forschungsarbeiten zur Narrativen Ökonomie, die der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert J. Shiller im Januar vorgetragen hat.

Christian Bartels schickte mir folgende Vorschläge:

1. Brian Solis: Build Platforms, Not Just Products
2. Startups – der Link zum Business
3. Bildung: Digitalisierung an Schulen und eine mögliche Unterstützung für die Lehrerschaft
4. CX: The Human on the Other Side of the Screen (Brian Solis)
5. Amazon Dash Button, Amazon Echo – Google Home, etc.: Auswirkungen im Retail, live@home, Datenschutz, etc.

Die anderen Teilnehmer könnten ja noch was zu Papier bringen und in eigenen Blogs oder auf Facebook publizieren. Ratschlag: Selbst die Initiative für den Käsekuchen-Diskurs übernehmen, ein Thesenpapier formulieren und mit uns einen Termin festlegen.

Die nächste Käsekuchen-Runde machen wir wieder in Bonn in meiner Bibliothek in der Ettighoffer Str. 26a, 53123 Bonn. Am Freitag, den 24. März, um 16 Uhr (Käsekuchen wird ab 15 verspeist, 16 Uhr startet der Livestream). Thema: Wie neureicher Vulgär-Kapitalismus die Netzökonomie beherrscht – Welchen Wertekanon streben wir in der Digitalisierung an?

Das passt zur politischen Ökonomie von Wilhelm Unrau und zu den Aussagen von Winfried Felser. Es passt auch zum Demokratie-Diskurs auf den Spuren von Peter Drucker.

Anmeldungen via Facebook-Eventseite.

Die Tautologien der digitalen „Avantgarde“ #NEO16x

Mitmachen bei der #NEO16x am 1. und 2. Dezember
Mitmachen bei der #NEO16x am 1. und 2. Dezember

Der Kölner Soziologe Klaus Janowitz hat sich der Herkules-Aufgabe gewidmet, in der vernetzten Welt für etwas mehr Klarheit zu sorgen. Erinnert sei an seine Überlegungen zur Hashtag-Ökonomie als Gegenentwurf zur durchorganisierten Gesellschaft. Es geht dabei um Verbindungen von Neigungen und Interessen, um vernetzten Individualismus fernab von Reports, Indikatoren, Kennzahlen und Excel-Tabellen, die nur Ausdruck der Hilflosigkeit in einer vernetzten Welt sind.

Besonders beim Gemurmel über die „Digitale Transformation“ findet Janowitz eine Menge heiße Luft, etwa im Buch der so genannten Digital Darwinisten Karl-Heinz Land und Ralf Kreuzer:

„Mit dem Begriff digitale Transformation wird der zielgerichtete Einsatz von digitalen Technologien bezeichnet, um die eigenen Wertschöpfungsprozesse unter Einsatz von digitalen Technologien neu- oder umzugestalten.“

Zerpflückt man diesen Satz in seine Einzelteile, bleibt wenig Substanz übrig. Was heißt denn zielgerichteter Einsatz? Was sind eigene Wertschöpfungsprozesse? Als Antipoden zitiert Janowitz den Kolumnisten Alain Veuve:

„Transformation impliziert einen Prozess, der einen Anfang und ein Ende hat. Unternehmen ‚machen sich fit‚ für die digitale Transformation. Veränderungen sind nicht nur von den Informationstechnologien getrieben, auch anderswo gibt es Fortschritt.“

Eingaben ohne Ziel

Wie kann überhaupt noch etwas zielgerichtet laufen, wenn die Eingabe von Daten und das Abrufen von Informationen soweit getrennt werden, dass keinerlei Identität mehr besteht. Wer etwas eingibt, weiß nicht, was auf der anderen Seite entnommen wird. Die Autorität der Quelle wird entbehrlich, sie wird durch Technik annulliert. Ebenso entfällt die Möglichkeit, die Absicht einer Mitteilung zu erkennen und daraus Verdacht zu nähren oder sonstige Schlüsse zu ziehen, die zur Annahme oder Ablehnung der Kommunikation führen könnten. Die moderne Computertechnik greift die Autorität der so genannten Experten an. Fast jeder hat mittlerweile die Möglichkeit, die Aussagen von Wissenschaftlern, Journalisten, Unternehmern oder Politikern am eigenen Computer zu überprüfen.

Was bedeutet das für die Tautologien, die uns von Digitalen Darwinisten oder sonstigen Digitalen Evangelisten um die Ohren gehauen werden? Solche Internet-Erklärer, die die Konferenzbühnen beherrschen, stellen sich nicht einer kritischen Überprüfbarkeit ihrer Erzählungen. Wo bleibt die theoretische Fundierung im Diskurs über die Wirkungen der Digitalisierung für Wirtschaft, Gesellschaft und Staat? Die vorherrschenden Erzählungen in Netz-Debatten, die sich mit Digitaler Transformation, Content Marketing, Storytelling, Plattformen oder Industrie 4.0 beschäftigen, bestehen aus „ganzheitlicher“ Phrasendrescherei. Das gilt für die Beraterzunft und auch für die betriebswirtschaftlich ausgebildeten Stichwortgebern.

Selbstkonstruierter Unsinn

Der Wissenschaftstheoretiker Hans Albert würde die Keynote-Plaudereien als selbstkonstruierten Unsinn abtun. Belastbar seien nur Aussagen, die sich anhand einer Auseinandersetzung mit der uns umgebenden realen Welt überprüfen lassen. Es dominieren hypothesenlose Leerformeln, die ihre empirische Gehaltlosigkeit verschleiern. Man könnte sogar von Dogmen sprechen, da uns von vielen digitalen Vordenkern absolute Gewissheiten verkauft werden, ohne auch nur in Ansätzen empirische Einsichten zu vermitteln. Man fahndet nur nach Bestätigungen der eigenen Sichtweise und schließt von Einzelphänomenen auf die Allgemeinheit. Vermeintliche Wahrheiten wurden und werden von gläubigen Anhängern ohne Überprüfung der Fehlerhaftigkeit verteidigt. Wer nicht an sie glaubt, gilt als verstockt und rückwärtsgewandt. Eine kritische Urteilsfähigkeit kann so nicht entstehen. Selbst eine noch so oft wiederholte Beobachtung der regelmäßigen Verbindungen von Dingen oder Ereignissen rechtfertigt es nicht, daraus eine logisch zwingende Schlussfolgerung auf eine Gesetzmäßigkeit zu ziehen.
Die Überprüfbarkeit von Hypothesen

Jeder sollte daher immer kritische Widerlegungsversuche von Hypothesen anstellen, statt nur nach Bestätigungen des eigenen Gedankengebäudes zu suchen. Beim netzökonomischen Diskurs im Kölner Startplatz wurden Ideen verhandelt, wie man den dominierenden digitalen Plattformen des Silicon Valley Paroli bieten könnte. Zur Sprache kamen Open Source-Ideen, die zu einer Dezentralisierung des Netzes taugen. Kann man sich überhaupt aus der häufig zu beobachtenden Pareto-Verteilung befreien, die in den meisten Netzwerken vorherrscht? 20 Prozent derer, die Einkommen haben, zahlen 80 Prozent der Einkommenssteuer; 20 Prozent der Produkte eines Supermarktes machen 80 Prozent des Umsatzes aus; 20 Prozent der Wissenschaftler bekommen 80 Prozent der Zitate ab; 20 Prozent der Wissenschaftler schreiben 80 Prozent der wissenschaftlichen Texte. Selbst für Wikipedia gilt: 20 Prozent der Autoren liefern 80 Prozent der Beiträge. Wie kommt man aus diesen Machtstrukturen raus?

Raiffeisen für die Netzökonomie

Letztlich plädierte Netzökonomie Campus-Runde für einen stärkeren Schulterschluss, den vor allem kleine und mittelständische Unternehmen leisten müssen. Beispielsweise über die Raiffeisen-Idee, die im 19. Jahrhundert begründet wurde: Solche Genossenschaften seien Netzwerke, die helfen, wenn eine Branche im Wandel und im Wachsen ist, erläutert die Volkswirtin Theresia Theurl von der Uni Münster gegenüber der Wirtschaftswoche:

„Bist Du nicht groß oder besonders stark, musst du besonders schlau sein. Man kann sich Größe auch organisieren, ohne sich abhängig zu machen.“

Um das Problem der schlechten Bonität zu lösen, setzte der Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen auf das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. Man könnte es auch nach dem Motto der „Vier Musketiere“ formulieren: „Einer für alle, alle für einen“.

„Eine Gruppe Kreditbedürftiger schließt sich zusammen und stattet ihre Genossenschaften mit Haftungskapital aus. Für den Einzelnen ist die Einlage bezahlbar, doch unter dem Strich kommt ein ordentliches Kapitalpolster zusammen. Dadurch entsteht eine privat finanzierte Bank, die Geld an ihre Mitglieder verleihen kann, ohne bei Ausfällen einzelner Schuldner pleitezugehen“, erläutert die Wirtschaftswoche.

Gleiches gilt für die Digitalisierung der Wirtschaft, etwa bei Investitionen in 3D-Drucker, beim Einkauf, bei der Vermarktung über Plattformen und beim Wissenstransfer.

Bringt die Raiffeisen-Idee nun Impulse für die Netzökonomie in Deutschland? Das muss nun empirisch überprüft werden mit Rückgriffen auf die Wirtschaftsgeschichte und auf heutige Phänomene. Es steht eine Hypothese zur Disposition, die mit Daten aus dem 19. Jahrhundert und mit aktuellen Daten abgeklopft werden kann – ohne esoterische Quatschereien.

Mehr Offenheit in der Kommunikation wäre übrigens auch ein probates Mittel, Google und Co. Paroli zu bieten. Die ach so coolen und netzseligen kalifornischen Tech-Konzerne organisieren sich eher wie eine Sekte. Jeden Dienstag kann man das in dem Hangout-on-Air-Format „Google Partner Aktuell“ bewundern.

Da wird nicht nur die Begrüßung vom Teleprompter abgelesen, sondern auch die Fragen und Antworten ohne Beteiligung des Publikums. Übrig bleibt ein skriptgesteuertes und schlecht präsentiertes Werbe-Blabla mit dem Charme von Robotik-Prosa. An dieser Schwachstelle kann man ansetzen.

Am 2. Dezember könnten wir das in der nächsten Käsekuchen-Runde zur Next Economy Open vertiefen.

Vor dieser Debatte gibt es eine Session von Klaus Janowitz #Einmischen #NEO16X

Man hört, sieht und streamt sich.

Was macht der Messestand eigentlich nachts? #Cebit16 #CampusMittelstand

Livestreaming-Opus ist immer noch aktuell, da Google wenig am Dienst Hangout on Air geändert hat. Eigentlich gar nichts.
Livestreaming-Opus ist immer noch aktuell, da Google wenig am Dienst Hangout on Air geändert hat. Eigentlich gar nichts.

Was der Messestand nachts macht, ist mir relativ egal. Wir – also Hannes Schleeh und ich – diskutierten diese Frage auf der Cebit 2013 mit Sascha Stoltenow und waren fasziniert von den möglichen Antworten, die wir darauf per Livestreaming und automatischer Youtube-Aufzeichnung geben könnten. Hannes war 15 Jahre lang für die Messeauftritte der Maschinenring-Organisation zuständig und kannte die Probleme der Messeverantwortlichen daher sehr gut.

Eine Messe ist immer eine riesige Aktion für eine Organisation. Sie kostet eine Menge Geld und Nerven. Die Verantwortlichen müssen nach dem Event Rechenschaft darüber ablegen, ob der Auftritt erfolgreich war. Um so wichtiger ist es, die vielen Aktivitäten am Messestand zu dokumentieren und zu archivieren. Mit Liveübertragungen via Hangout on Air erfüllt man diese Anforderungen in Perfektion. Livestreams stellen die Kommunikation für Abwesende sicher.

Zudem erzeugen die sofort verfügbaren Youtube-Konserven Netzwerk-Effekte, die auch nach dem Messegeschehen weiter wirken. Man kann Vorträge, Diskussionsrunden, Workshops und Interviews vorher via Google Plus-Eventseiten ankündigen. Die Videos verfügen über einen iframe-Code, um sie auf anderen Website zu präsentieren und die Einladungsfunktion ist ein gutes Werkzeug, um Kunden, Journalisten, Geschäftspartner, Lieferanten und weitere Interessierte persönlich einzuladen.

Mit den zu jeder Zeit abrufbaren Youtube-Videos arbeitet der Messestand nicht nur nachts, sondern auch nach der Messe. Jede Session kann während und nach der Liveübertragung kommentiert werden. Die Videos können publizistisch verwertet werden für Blogpostings, Pressemitteilungen, Dokus oder eBooks. Nichts geht verloren.

Im vergangenen Jahr haben wir als Netzökonomie-Campus die Sessions für klein- und mittelständische Unternehmen in einem Livestreaming-Marathon verfügbar gemacht.

In diesem Jahr wird das wiederholt in Halle 5 beim Campus-Mittelstand dank der Initiative des Veranstalters Andreas Fischer. Er hat den Spruch „Was macht der Messestand eigentlich nachts“ verinnerlicht. Wir sehen, hören und streamen uns nächste Woche von Montag bis Freitag 🙂

Hier sind alle Livestreams im Überblick:

Montag, den 14. März

Dienstag, den 15. März

Mittwoch, den 16. März

Donnerstag, den 17. März

FINAAAALE – Freitag, den 18. März

Das digitale Versteckspiel der Etablierten in Politik und Wirtschaft #VDS #KölnerBarcampKontroverse

Überwachung

Die netzpolitischen Erfolge der Vergangenheit haben die digitale Elite vielleicht etwas zu siegessicher gemacht, monierte Michael Seemann in einem Blogbeitrag vor zwei Jahren. Der erfolgreiche Kampf gegen Zensursula, der da aus dem Nichts zu einer gigantischen Woge des Protestes führte, beförderte Träumereien:

„Die Piraten, bereits 2006 gegründet, erschienen 2009 das erste Mal als realistische Machtoption auf der Bildfläche. Aber nicht nur das. Auch die Aktivisten glaubten, die neu entdeckten Superkräfte in politischen Einfluss ummünzen zu können. Netzpolitik.org wurde zu einem der meistgelesenen Blogs und allen Parteien saß der Schock über die Netzmacht tief in den Knochen.“

Und er führt weiter aus:

„Die Netzsperren wurden, obwohl bereits beschlossen, aus Angst vor der mächtigen Netzlobby beerdigt. Leutheusser-Schnarrenberger achtete peinlich darauf, jedem CDUler, der mit der Vorratsdatenspeicherung um die Ecke kam, sofort auf die Patschen zu hauen. Netzpolitik war en vogue, alle Parteien gründeten Arbeitskreise und Lobby-Beiboote zum Thema, von der Regierung gab es eine eigene Enquetekommission. Die Piraten eilten von Wahlerfolg zu Wahlerfolg und Tatort-Autoren und andere Besitzstandswahrer schrieben offene Briefe aus Angst um ihre Urheberrechtspfründe. Schließlich stoppte die Netzszene noch ein internationales Handelsabkommen – wo geht’s hier zur Weltherrschaft?“

Man könnte noch die Entlarvung des Plagiators von und zu Guttenberg durch die Weisheit der vielen anfügen. Schließlich folgte der kollaborativen Fleißarbeit der Guttenplag-Rechercheure die Abdankung des blaublütigen Verteidigungsministers, obwohl sich die „Bild“-Zeitung wortmächtig als Befürworter des CSU-Politikers ins Zeug legte.

„Auch Shitstorms bestehen nur aus Dünnschiss“

Doch dann kam die Chose ins Stocken. Nichts ging mehr. Das Leistungsschutzrecht wurde in etwas abgeschwächter Variante beschlossen, die NSA-Spionage-Affäre verfing nicht in breiten Bevölkerungskreisen, die Piraten übten sich in personeller Selbstzerfleischung und gingen den Altparteien auf den Leim, statt ihre digitalpolitische Kompetenz zu beweisen. Michael Seemann spricht vom Ende einer Ära: „Netzpolitik ist in dieser, jetzigen Konzeption tot.“

Die Politik habe ihren Respekt vor dem Netz verloren. Viel Getöse, nichts dahinter:

„Auch Shitstorms bestehen nur aus Dünnschiss“, konstatiert Seemann.

Wie sich die politische Klasse aus dem Nerd-Schwitzkasten befreite

„brandeins“-Autor Thomas Ramge hatte vor Jahren prognostiziert, dass sich die etablierten Kräfte irgendwann aus dem „Schwitzkasten der Nerds“ befreien werden.

So sei ACTA in Deutschland an einem überschaubaren und gut organisierten Kreis von etwa 50 bis 100 Leuten gescheitert, die sich erfolgreich als netzpolitische Experten positioniert haben und die Öffentlichkeit dominieren. Ramge erwähnt den Blogger Jens Best, den Netzaktivisten Markus Beckedahl und die Sprecherin des Chaos Computer Clubs Constanze Kurz, die in rechtlichen Fragen rund um die Nutzung von Informationstechnik extrem bewandert sind und mit ihrem Expertenwissen eine echte Kommunikationsmacht aufgebaut haben.

So wiederhole sich auf politischer Ebene das alte Machtspiel der IT-Spezialisten. Wenige Kundige nehmen viele Unkundige in den Schwitzkasten. Ramge erkannte erste Abnutzungseffekte des Expertentums, da die Politik mit etwas Zeitverzögerung das nötige Fachwissen aufrüstet. Er zitiert einen „Branchenkenner“:

„Politiker haben keine Lust mehr, sich von Leuten ohne Mandat am digitalen Nasenring durch die Manege ziehen zu lassen. Der Trick wird nicht mehr lange funktionieren. Aber dafür müssen zumindest Fachpolitiker endlich selbst zu Experten werden.“

Rein taktisch haben die etablierten Kräfte im Netz zwar zugelegt, aber digitale Kompetenz sei nach wie vor Mangelware, bemerkt Vera Bunse. Ein Nekrolog auf die Netzpolitik ist also verfrüht. Nur sollte man endlich anfangen, das digitale Fachwissen der Netzbewegung mit realpolitischem Sachverstand zu kombinieren und neue Allianzen suchen.

Statt Nekrologe zu schreiben, sollten wir anfangen, die scheinheilige Digitale Agenda der Etablierten in Wirtschaft und Politik auseinander zu nehmen. Denn da gibt es einige Pappenheimer, die die Graswurzel-Vorarbeiten der idealistischen Nerds absaugen, ihre Klüngel-Hinterzimmer-Praktiken mit etwas digitalem Zuckerguss überstreichen, um im abgeschotteten Einweg-Kommunikationsmodus zur Tagesordnung überzugehen.

Das brachte beim Käsekuchen-Diskurs Start-up-Unternehmer Marcus Jacobs zum Ausdruck: Der Ursprung für viele regionale Initiativen wie die Kölner Internetwoche oder das IHK-Format „Digital Cologne“ sei durch ein Barcamp im Jahre 2009 im Rathaus der Domstadt entstanden.

In diesen Veranstaltungen opfern viele Enthusiasten ihre Freizeit und entwickeln Netzideen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die von den etablierten Kräften in der Vergangenheit belächelt wurden und jetzt adaptiert werden.

Wenn man dem Establishment auf den Pelz rückt, lässt es sehr schnell die Maske fallen, wie im Streit um das Verhalten von SPD-Politikern zur Vorratsdatenspeicherung. Lesenswert dazu auch: Mit Vorratsdatenspeicherung endlich die vielen Serienmörder schnappen. Der Kelber sollte weniger TV-Serien wie Ripper Street schauen.

Wir sollten uns nicht von den Seilschaften in Politik und Wirtschaft verscheißern lassen. Sie haben vielleicht ihre Aktivitäten im Social Web erhöht, ihre digitalen Kompetenzen aber nicht.

Wie man mit kritischen netzpolitischen Beitragen in der Wirtschaft umgeht, beweist gerade die Schufa.

Der Innenminister fokussiert sich bei der Totalüberwachung nicht auf Serienmörder, sondern will eher Einbrecherbanden jagen. Die VDS ist wohl eine Mehrzweckwaffe.

Über teutonische Apparatschick-Treffen wie dem Altherren-Stelldichein namens IT-Gipfel #KölnerBarcampKontroverse

Proteste

Der Ursprung für viele regionale Initiativen wie die Kölner Internetwoche oder das IHK-Format „Digital Cologne“ sei durch ein Barcamp im Jahre 2009 im Rathaus der Domstadt entstanden. Das brachte beim Käsekuchen-Diskurs Start-up-Unternehmer Marcus Jacobs zum Ausdruck. In diesen Veranstaltungen opfern viele Enthusiasten ihre Freizeit und entwickeln Netzideen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die von den etablierten Kräften in der Vergangenheit belächelt wurden und jetzt adaptiert werden.

Dann sollte man vor diesen Leistungen mehr Respekt zeigen! In den USA sind es auch nerdige Idealisten, die digitale Ideen hervorbringen. Sie werden allerdings von der Krawattenfraktion nicht überfahren, sondern als Ikonen der Netzökonomie verehrt und gefeiert.

IT-Gipfel-Unverbindlichkeiten statt Austin-Geist

Schräge und wilde Veranstaltungsformate wie die SXSW in Austin haben schon viele neue Netzplattformen, Apps und Geschäftsmodelle aus der Taufe gehoben. Auch das ist ein großer kultureller Unterschied zu teutonischen Apparatschick-Treffen wie dem Altherren-Stelldichein namens IT-Gipfel. Die Spitzenfunktionäre von Bitkom und Co. ergötzen sich an der Möglichkeit, einmal im Jahr der Kanzlerin am Rockzipfel zu hängen, um in schöner Regelmäßigkeit mit einer Suada von Unverbindlichkeiten abgespeist zu werden. „Spiegel“-Kolumnist Sascha Lobo hat sich der Mühe unterzogen, die digitalen Merkel-Worthülsen aufzulisten.

Anfang 2008 wollte die Bundesregierung Merkel das Problem fehlender Breitbandanschlüsse „binnen 12 Monaten lösen“. 2009 fabulierte Merkel: „Wir haben uns sehr ambitionierte Ziele gesteckt, nämlich den Zugang zum Breitband erst einmal in der schmalen Variante von einem Megabit …“ Außerdem versprach die Regierungschefin drei Viertel der Haushalte 50 Mbit pro Sekunde bis 2014, „und zwar mindestens“. Ein Jahr später bekräftigte sie beide Zahlen. „Geklappt hat es leider trotzdem nicht“, so Lobo.

Außendruck der Graswurzel-Bewegungen muss zunehmen

2011 wiederum galt ein Mbit pro Sekunde als ein „ehrgeiziges Ziel“.

„2012 machte Merkel einen Premiumscherz: ‚Wenn man jemandem mal Ruhe beibringen will, dann könnte man ihn in eine Ecke setzen, wo gerade mal ein Megabit pro Sekunde zur Verfügung steht.‘ Und doch erklärte noch 2013 die Bundesnetzagentur, ein Megabit pro Sekunde sei Breitband im Sinne der Bundesregierung. Kurz vor 2014 wurde bekannt, dass die im Koalitionsvertrag ursprünglich vorgesehene Summe von einer Milliarde Euro für den Breitbandausbau in letzter Minute gestrichen wurde“, erläutert Lobo.

Und schon die veranschlagte Summe war nicht der Rede wert.

Vor diesem Hintergrund müsse nach Meinung von Lobo auch das Versprechen von „50 Mbit/s bis 20XX“ betrachtet werden. Es ist lächerlich. Entsprechend muss der Außendruck von Graswurzel-Bewegungen wie den Barcamps wachsen. Nur dann gibt es nicht nur Schaufensterreden, sondern digitale Tipping Points, die der frühere IBM-Cheftechnologe Gunter Dueck in Berlin forderte: beim Barcamp Arbeiten 4.0.

Deshalb fordere ich: Schluss mit dem digitalen Tschakka-Gebrüll!

Anmerkungen zur #KölnerBarcampKontroverse – Ohne Netzbewegung keine vernetzte Ökonomie #nöccn

Barcamp als Katalysator für die digitale Vernetzung
Barcamp als Katalysator für die digitale Vernetzung

Manchmal gibt es Diskussionen und Lebenssituationen, die erzeugen einen Heureka-Moment und man weiß, wo man steht und in welche Richtung es weiter gehen soll. So war es beim fünften Netzökonomie-Campus mit Käsekuchen in Köln, den Mister Unternehmer-Plattform Winfried Felser perfekt organisiert hat. Auch seine Backkünste konnten überzeugen.

In unserem offenen Format, an dem jeder Interessierte teilnehmen kann – real und virtuell über eine Liveschalte via Hangout on Air – steht die Disputation im Vordergrund. Absprachen, Kontrolle der Gespräche, Sprachregelungen oder sonstige aseptische Vorkehrungen kommen für uns nicht in Frage. Da gibt es ausreichend Plastik-Formate, die besonders in Wirtschaftskreisen dominieren:

Wir leben die Barcamp-Kultur und setzen auf Überraschungen. Das Schwerpunktthema kann der jeweilige Gastgeber auswählen und in einem Eingangsstatement vorstellen. Einzige Bedingung: Er muss den Käsekuchen in Eigenregie backen.

Beim Netzökonomie-Campus unter dem Motto „Doppelter Hochmut kommt vor dem doppelten Fall: Dialogunfähigkeit zwischen Netzszene und Wirtschaft“ gab es schon in den ersten Minuten eine Klärung der Fronten, die mich streitlustig machte.

Barcamps seien esoterischer Quatsch, Netzgemeinde oder Netzaktivisten klingen irgendwie nach Sekte. Alles dummes Zeug. Es gehe darum, die alte Wirtschaft von der Digitalisierung zu überzeugen und Brücken zu bauen. Nur frage ich mich, wo jener Protagonist des digitalen Wandels steht, der etwas flapsig auf die Netzbewegung runterschaut? Barcamps jemals besucht? Fehlanzeige. re:publica in den vergangenen Jahren in Berlin erlebt: Fehlanzeige. Die eigenen Positionen mal in offenen Formaten ohne Headset, ohne Powerpoint-Orgien und ohne Berieselungsrhetorik ausprobiert? Wohl eher nicht.

Wie kann jemand jenseits von Facebook-Monitoring-Schwafeleien Brücken in die alte Wirtschaftswelt bauen, der die Netzszene als irrelevant und kindisch wertet? Was den Unternehmern häufig vorgeführt wird, ist nichts anderes als digitales Tschakka-Gebrüll in alter Establishment-Denkweise.

Der blinde Fleck in der Digitalisierung ist also auch dort zu verorten, wo inflationär Online-Marketing-Blabla abgesondert wird. Die neue Logik des Netzes muss anders vermittelt werden – da gibt es in der Tat eine Schwäche in der Netzszene. Im Zusammenhang mit der digitalen Transformation fällt immer öfter der Begriff „Plattform“. Häufig wird dabei an Google, Apple oder Uber gedacht. Plattform-Theoretiker wie der US-Ökonom Van Alstyne gehen weit darüber hinaus.

„Ich definiere eine Plattform als einen veröffentlichten Standard, mit dem sich andere verbinden können, zusammen mit einem Governance-Modell, also den Regeln, wer wie viel bekommt.“

Praktiker wie Zhang Ruimin erkennen ein völlig neues Management-Konzept:

„In Zukunft gibt es nur noch Plattform-Inhaber, Unternehmer und Mikrounternehmer. Unsere fünf Forschungszentren weltweit funktionieren heute schon wie Plattformen, auf denen Unternehmer zusammenarbeiten. Die Firma der Zukunft hat keine Angestellten mehr“, erklärt der Haier-Chef gegenüber der „Wirtschaftswoche“.

Eine solche Plattform-Sichtweise hinterfragt nach Ansicht des Netzwerk-Spezialisten Winfried Felser alle Unternehmen.

„Es geht nicht mehr nur um die eigenen Ressourcen und Kompetenzen, sondern immer mehr auch um den Zugang zu Netzwerken. Hier gilt es die Qualität der eigenen ,Plattform-‘ und ,Netzwerk-Kompetenzen‘ ebenso zu gestalten wie man bisher die Kernkompetenzen gemanagt hat.“

Innen und außen seien Begriffe der alten Ökonomie. Der Nutzer werde zum Produzenten und die Schnittstelle geht von der reinen Transaktion in Richtung Co-Produktivität.

NetzökonomieCamp als Plattform für die Plattform-Ökonomie

Der Wandel betrifft dabei alle bisherigen Wertschöpfungsstrukturen. Auch Veranstaltungen werden neu definiert. So wird bei Barcamps bereits unter Beweis gestellt, wie aus passiven „Konferenzkunden“ kreative „Mitproduzenten“ werden können, die Themen selbst bestimmen und sich interaktiv organisieren.

„Kunden sind aber auch nicht nur Mit-Gestalter, sondern auch Mit-Akquisiteure, wenn sie beispielsweise Empfehlungen zum Unternehmen aussprechen oder sogar die Empfehlungs-Akquise immer mehr aus dem Netzwerk der eigenen Promotoren erfolgt“, resümiert Felser, Mitorganisator des NetzökonomieCamps, das am 21. und 22. November in Köln stattfindet.

Das erste netzökonomische Barcamp (!) ist deshalb der richtige Ort, den Vertretern der klassischen Wirtschaft einen neuen Geist einzuhauchen mit einem offenen, vernetzten, nachhaltigen und anschlussfähigen Kommunikationskonzept. Ein Treffen von Graswurzel-Aktivisten des Netzes und Unternehmern, die begreifen, nicht nur über die Digitalisierung zu reden, sondern sie zu leben.

Sind nun Barcamps esoterischer Schnickschnack? Weit gefehlt. Offenheit, Vernetzung, Überraschungen, Anschlussfähigkeit, Impulse für die Kombinatorik von Ideen sowie Wissen und Anreize für das Entstehen von neuen Eco-Systemen sind die Essenz für die vernetzte Ökonomie. Da hat Markus Jakobs am Schluss der Käsekuchen-Runde bei Winfried Felser sehr gut zum Ausdruck gebracht. Nach der gestrigen Kontroverse ist meine Motivation deutlich gestiegen, das NetzökonomieCamp zum Erfolg zu führen.

Wie man die geschlossenen Pforten der Deutschland AG aufbricht #APO #Revolte #Denklabore #Arbeiten40 #nöcbn @th_sattelberger

Netzökonomie-Campus-Diskurs ohne Seilschaften
Netzökonomie-Campus-Diskurs ohne Seilschaften

Welchen Wandel die Netzeffekte des Social Webs politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich bewirken, hat der Internet-Visionär Howard Rheingold bereits 2002 in seinem Artikel „Smart Mobs – Die Macht der mobilen Vielen“ vorweggenommen: Die Konvergenz der Technologien bewirke neue Formen der Kommunikation. Ortungsfähige drahtlose Organizer, Drahtlos-Netzwerke und zu Computerverbünden zusammengeschlossene Kollektive hätten eines gemeinsam: Sie würden Menschen befähigen, auf neue Arten und in unterschiedlichen Situationen gemeinsam zu agieren. Hat das noch etwas mit den Netzwerken der alten Schule zu tun? Natürlich nicht. Das wird deutlich, wenn man sich mit den Prominenten-Interviews auseinandersetzt, die der Berater Alexander Wolf für sein Buch „Geheimnisse des Netzwerkens“ geführt hat.

Alle jene Diskussionen, die über Transparenz geführt werden, seien eine Illusion.

„So wird es nie sein. Wer in der Politik tätig ist, hat ein Unterstützer-Netzwerk von Leuten, die einem in schwierigen Situationen helfen und denen man auch ab und zu helfen muss. Das läuft immer diskret und kann nicht offengelegt werden“, so Wolf.

Der Journalist Dieter Kronzucker habe es sehr schön ausgedrückt: Social Networks werden alle so schnell wieder vergehen, wie sie gekommen sind.

„Damit meint er nicht, dass es Facebook nicht mehr geben wird, aber er meint die Wichtigkeit, die wir Facebook momentan geben, wird abnehmen. Xing, LinkedIn oder Facebook sind nichts anderes als Online-Adressverzeichnisse und Online-Fotodatenbanken, wo man anderen die Möglichkeit gibt, Dinge schnell zu erfahren. Es sind keine belastbaren Netzwerke. Sie können keine Freundschaften und belastbaren Beziehungen über Xing aufbauen, weil sie kein Vertrauen im Internet aufbauen können. Wir wissen ja noch nicht mal, ob der Facebook-Freund überhaupt existiert“, erläutert Buchautor Wolf.

Letztlich geht es den Netzwerkern des Establishments um gegenseitige Abhängigkeiten. Es sind Seilschaften, Kartelle, Klüngel und Cliquen, die ihre Macht nur hinter verschlossenen Türen entfalten können. Man kann es jedes Jahr in den Schweizer Alpen bewundern. Als aktiver Ruheständler hat sich Mister Personalmanagement Thomas Sattelberger der Aufgabe verschrieben, die geschlossenen Systeme der Deutschland AG aufzubrechen und zu transformieren. Der politische und zivilgesellschaftliche Druck auf Unternehmen müsse zunehmen. Die Digitalisierung wirkt dabei wie ein Transmissionsriemen. Die Internetökonomie mit Netzcommunitys durchpflügt tradierte Geschäfte, Machtstrukturen und Prozesse. Es wird immer schwieriger, als verschworene Gemeinschaft zu agieren, sich von der Außenwelt wie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos abzuschotten und zu glauben, mit Versteckspielchen über die Runden zu kommen. Die Vielfalt einer Organisation muss noch vielfältiger sein als die Umwelt, in der sie agiert. Wer auf den Wandel mit bolschewistischer Starrheit reagiert wie Funktionäre des BDA, Dialoge auf eine Propagandamaschinerie reduziert, wer die Führungskultur weiter auf Stromlinienförmigkeit trimmt, Vielfalt nicht erträgt, sondern ausschwitzt, wird als Unternehmen keine gute Zukunft erleben.

Zentralistische Führung und Organisationskonzepte aus dem Industriezeitalter haben nach Einschätzung von Sattelberger ausgedient, weil die Souveränitätspotenziale des einzelnen Mitarbeiters größer werden.

„Schließlich gibt es ja auch keinen Zentralrechner mehr, sondern die Cloud. In dieser evolutionären Entwicklung, die durchaus größere Sprünge macht, kann nicht mehr zwischen Produktions- und Wissensarbeiter unterschieden werden. Die bisher noch getrennte Hand- und Kopfarbeit rücken zusammen – und deshalb müssen die Führungs- und Arbeitsstrukturen andere werden. Experten nennen das die Demokratisierung der Produktion.“

Die Personalabteilungen müssten in dieser Gemengelage Treiber sein, hinken aber noch hinterher.

„Sie wissen zu wenig über die technologischen und sozialen Kräfte der Digitalisierung in der Arbeitswelt. Viele sind noch in der Logik industrieller Massenfertigung verfangen, normieren und standardisieren Prozesse. Momentan stabilisieren Personaler damit eher die Verhältnisse, statt die kreativen Potenziale selbststeuernder ,Smart Factories‘ für den Menschen zu entdecken.“

Machtstrukturen in Großorganisationen würden die Kreativität töten. Ob flexible Arbeitszeiten, demokratisierte Prozessteuerung oder das zeitlich befristete Mandat, ein Team zu führen – mit den alten Konzepten des Personalmanagements sei eine zukunftsorientierte Entwicklung nicht möglich.

Schnelldusch-Manager dominieren in der Arbeitswelt

Wir brauchen mehr Vielfalt in der Arbeitswelt. Aber wie soll das in der Rekrutierung gelingen, wenn der Führungsnachwuchs überwiegend schnelle Karrieren in Konzernen anstrebt und sich vorher noch der Gehirnwäsche in Unternehmensberatungen unterzieht:

„Das Klonen in deutschen Chefetagen ist extrem ausgeprägt. Viele Topmanager sind deutsche, weiße, männliche, ähnlich ausgebildete Konzerngewächse, meist mit einem ansehnlichen ‚McKinsey & Co‘-Hintergrund, die dann eine lineare, gleichförmig verlaufende Schnelldusche als Manager in Hauptverwaltungen absolviert haben. Die Topmanager heute sind zwar akademischer als früher, aber damit nicht unbedingt gebildeter. Statt vieler Patriarchen haben wir jetzt mehr Technokraten in den Konzernen.“

Wer neu in einem Unternehmen tätig ist, verschwendet einen Großteil seiner Energie in ausgefeilten Bürostrukturen, taktischen Abwehrmanövern gegen Kollegen sowie Schauläufen vor Abteilungsleitern und Vorständen. So fassen 30 Gründer von Dark Horse Innovation ihre ersten Job-Erlebnisse in Konzernen, Mittelständlern in dem Opus „Thank God It’s Monday“ zusammen:

„Während unser Enthusiasmus und unsere Einfälle auf der Strecke blieben, stolzierte der Status quo, hochdekoriert mit immer neuen Buzzwords, die man zu verstehen und zu erfüllen hatte, vor den staunenden Rängen auf und ab.“

Hipster-Brause erzeugt nicht Hipster-Unternehmen

Statt in bürokratischen Organisationen sang- und klanglos zu verglühen, änderten sie nicht ihre Erwartungen, sondern ihre Arbeit. Sie gründeten eine Firma, in der sie kooperativ und kreativ arbeiten können. Selbst wenn Konzerne, Mittelständler und Verwaltungen im modischen Duktus von Diversity oder Work-Life-Balance faseln und eine politisch korrekte Prozentzahl von Frauen in Entscheider-Gremien einführen (selbst das gelingt nur selten), ändert sich mit diesen Mimikry-Programmen wenig. Es werden Symptome bekämpft, während hinter verschlossenen Türen die alten Seilschaften und Machtmechanismen weiterwirken.

„Das stahlharte Gehäuse bekommt lediglich einen neuen Anstrich. Der Frust wird im Zweifel größer, weil sich Missstände mit schönen Namen schwerer kritisieren lassen. Die Länge des eigenen Urlaubs selber zu bestimmen, wie bei einigen großen Unternehmen ab einer gewissen Managementebene üblich, führt häufig dazu, dass gar kein Urlaub mehr gemacht wird, weil die alten informellen Karriereregeln immer noch gelten“, schreiben die Dark-Horse-Autoren.

Tischkicker, Kuschelecken, Hipster-Brause und Social-Media-Duzerei-Anbiederungen ändern nicht wirklich die Arbeitswelt. Organisationen sollten sich einer kompletten Sanierung unterziehen. „Personalabteilungen machen sich Gedanken darüber, wie sich neue Mitarbeiter ins Unternehmen ‚integrieren‘ lassen, anstatt sich zu fragen, wie sich das Unternehmen an die neuen Mitarbeiter anpassen kann.“

Junge Mitarbeiter bekommen immer schönere Titel, gestylte Büros, Fitnessräume, Ruhezonen und Obstkörbe – in den Köpfen der Führungskräfte bleibt alles beim Alten.

Die Struktur und Logik des Social Webs erschwert die Arbeit der verknöcherten Eliten. Offene, freie und anarchische Systeme sind Gift für die Controlling-Freaks. Sattelberger ist gewillt, daran mitzuwirken, dass eine neue APO entsteht. Nur durch eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung würden wir das hinbekommen. Allerdings anders organisiert als vor 50 Jahren.

„Diese neue, moderne, außerparlamentarische Opposition muss sowohl die digitalen wie die realen Räume nutzen, sie muss sich sowohl Denklabore durch streitbare öffentliche Debatten als auch Reallabore in Unternehmen, Hochschulen und anderen gesellschaftlichen Organisationen schaffen. Im Disput, in der Auseinandersetzung hoffentlich genauso rebellisch und innovativ, was die Verabschiedung alter Dogmen und Scheinsicherheiten anbetrifft. Ich halte jedenfalls nicht die Klappe“, proklamiert Sattelberger in seiner Autobiografie, die im Murmann-Verlag erschienen ist.

Wir halten unsere Klappe schon lange nicht mehr und wollen das Thema in einem Netzökonomie-Campus Spezial beim Barcamp Arbeiten 4.0 der Bertelsmann-Stiftung aufgreifen. Live und ungeschminkt am Mittwoch in einer Session, die wir ab 14 Uhr über Hangout on Air ins Netz übertragen. Hashtag für Twitter-Zwischenrufe #nöcbn

Man hört, sieht und streamt sich 🙂

Passt eigentlich gut zu meinem Gastbeitrag für die Bertelsmann-Stiftung: Arbeiten im Gehäuse der Hörigkeit.

Barcamps neu denken #nöccn15

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Einige Gedanken von Winfried Felser, um die Unkonferenz-Idee namens Barcamp weiterzuentwickeln. Man fährt zur Veranstaltung, hört mit anderen Teilnehmern von einem „Experten“ eine Frontal-Präsentation. Von der Einweg-Berieselung bleibt nicht viel übrig.

Was früher einmal ausreichte, ist im neuen Zeitalter ungeeignet. Barcamps als offene Formate mit freier Themenfindung und größer Interaktivität stellen hier schon eine wesentliche Innovation dar, weil sie sowohl von der Themenfindung als auch vom wirklichen Kompetenz-Transfer durch Interaktivität eine höhere User Centricity darstellen. Aber auch ihnen fehlen oft die Nachhaltigkeit und Vernetzung mit anderen relevanten Aktivitäten der Teilnehmer. So findet in der Regel keine Vorbereitung und Nachbereitung des Events statt. Das Matchmaking erfolgt nur über die Themen einzelner Sessions. Die Teilnehmer sind sich oft unbekannt und können auch wechselseitig ihre Herausforderungen und Kompetenzen nicht einschätzen. Der Anschluss eines Barcamps an die Probleme sowie Anforderungen der Nutzer und den Transfer in die Praxis sind gering. Von der kollaborativen Kompetenzentwicklung wird nur während des Barcamps profitiert, anschließend verliert sich die Community. Ist das alternativlos?

Warum werden nicht alle Teilnehmer eines Events schon vor dem Event Teil einer Community, die durch Vorfeldaktionen aus sich selbst wächst? Dabei profilieren sich die Teilnehmer mit ihren Kompetenzen und Herausforderungen. Sie bringen bereits Vorerfahrungen / Vorwissen aus anderen Kontexten als Content ein. Ein Matchmaking bringt auf dieser Basis komplementäre Kompetenzträger für die Sessions zusammen. Teilnehmer der Sessions organisieren mögliche Inhalte. Bereits im Vorfeld werden Themen kommuniziert, die auch nach der Veranstaltung in andere Kontexte einfließen. Soweit die Ausführungen von Winfried.

Beim Kölner NetzökonomieCamp am 21. und 22. November könnte man schon jetzt mit dem Themen-Management beginnen über virtuelle Formate und Debattenbeiträge. Man könnte konkrete Projekte identifizieren, Workshops auf die Beine stellen, Studien erarbeiten, Interviews führen und Kontakte mit Verbänden, Unternehmen, Initiativen, Blogs und Wissenschaftlern herstellen. Also nicht alles auf das zweitägige Barcamp im November reduzieren, sondern die Themen über das ganze Jahr angehen. Wie man das bewerkstelligen kann, sollten wir in den nächsten Wochen diskutieren. Ideen?

Mit in IT gegossener Alt-Scheiße macht man Google, Facebook, Amazon und Co. keine Konkurrenz – Käsekuchen-Diskurs um 16 Uhr #nöchn

Käsekuchen-Diskurs

In einer digitalen Welt gibt es unendlich viele Kombinationen für neue Dienste und Produkte, die selbst die Big Data-Analysten nicht antizipieren können – auch wenn sie noch soviel Datenschrott sammeln. Es gibt zu viele Variablen, weil immer auch unvorhersagbares menschliches Verhalten eine Rolle spielt. Oder wie es Douglas North, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, ausdrückt:

„Der Preis der Präzision (von theoretischen Modellen, gs) ist die Unfähigkeit, Fragen des realen Lebens zu behandeln.“

In den netzökonomischen Diskursen sollte man mehr auf Sicht fahren und überlegen, wie man die amerikanischen Plattformen für das eigene Business nutzen kann. So kehrt man das parasitäre Gedankengut der kalifornischen Monopolfetischisten ins Gegenteil. Parasiten, Hacker, Daten-Piraten, Wissensdiebe, Kopisten und Collage-Künstler können in diesem Spiel höchst nützliche Zeitgenossen sein. Sie stören die Monopolisten.

„Die Macht suchte und sucht das Zentrum einzunehmen. Wenn sie von diesem Zentrum aus wirken, ihre Wirksamkeit bis an die Grenzen des Raumes entfalten, wenn sie bis an die Peripherie reichen soll, so ist es notwendig, dass es kein Hindernis gibt, dass der Raum um ihre Aktion homogen ist. Kurz, der Raum muss frei von Rauschen, von Parasiten sein. Um Gehorsam zu finden, muss man gehört, muss man verstanden werden, muss die Ordnungsbotschaft Stille vorfinden“, schreibt der Philosoph Michel Serres in seiner Abhandlung „Der Parasit“.

Parasiten stören die Stille. Das ist uns übrigens schon einmal perfekt gelungen. Besonders die deutsche Industrie, konnte ihre Rückständigkeit Ende des 19. Jahrhunderts nur durch kluge Imitation kompensieren.

„Wie heute die Chinesen, haben damals deutsche Maschinenbauer ausländische Erfolgsmodelle in großem Stil eingekauft: Sie zerlegten die Maschinen in England und bauten sie im Siegerland oder im Schwäbischen neu auf. Durchs Nachmachen zu Erfahrung gekommen, haben die Deutschen sodann ihre Maschinen billig ins Ausland verkauft“, berichtet Rainer Hank von der FAZ.

Er verweist auf ein besonders dreistes Kopistenwerk in Solingen. Dort wurden minderwertige Messer aus Gusseisen hergestellt und mit dem Stempelaufdruck „Sheffield“ veredelt – das galt damals als Markenzeichen der englischen Messerproduktion.

„Ironie der Geschichte: Als Abwehrmaßnahme zwang England Deutschland das Label ‚Made in Germany‘ auf, damit man die mindere Ware erkennen sollte. Aber den Deutschen gelang es, das Stigma zum Qualitätssiegel umzuschmieden“, so der FAZ-Redakteur.

Degradieren wir die Silicon Valley-Aufschneider zu nützliche Idioten einer Ökonomie, die mehr Zugänge und Kompetenzen für wirtschaftliche Aktivitäten liefert.

In Deutschland und Europa muss man Strategem-Kompetenzen aufbauen – nicht zu verwechseln mit Strategie.

“Strategem ist ein anderes Wort für ‘List’. Unter Strategie verstehen Manager üblicherweise ‘langfristige Planung im Hinblick auf die grundsätzlichen Unternehmensziele’, im Gegensatz zur Taktik im Sinne von kurzfristiger Ziele”, so der Sinologe Harro von Senger, ein Kenner der chinesischen Strategem-Lehre.

List wird in der westlichen Welt häufig mit Täuschung gleichgesetzt. Von dieser Verengung sollten sich westliche Führungskräfte lösen, fordert Senger und verweist auf die beste chinesische Umschreibung von List:

“Etwas Außergewöhnliches erzeugen, um den Sieg zu erringen.”

List ist also eine schlaue, außergewöhnliche verblüffende Problemlösung. Täuschung spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Wenn sie zur Anwendung kommt, dann eher als Bluff, wie beim Pokern.

In der Wirtschaftswissenschaft wird neben der Netzökonomie auch dieses Thema völlig ausgeblendet, obwohl die Wirtschaft ein idealer Nährboden für die Anwendung von Strategemen ist wegen der zahlreichen Informations-Asymmetrien und der zunehmenden Unordnung des wirtschaftlichen Geschehens durch digitale Innovationen. Bei den Apologeten einer Theorie des rationalen Verhaltens gibt es keinen Platz für listenreiches Handeln.

Was könnte von den 36 Strategemen im Wettbewerb mit den kalifornischen Technologie-Konzernen zur Anwendung kommen? Beispielsweise das Strategem Nr. 7: Aus einem Nichts etwas erzeugen.

“Das nicht ist kein Vakuum, sondern zum Beispiel eine Mücke, aus der man einen Elefanten macht oder eine verrückte Idee, die sich als Goldgrube erweist”, erläutert Senger.

Es gehe dabei vor allem um einen Kreativitäts-Wettstreit. Man überflügelt die Konkurrenz dank kühner, in Leeräume der Forschung und Entwicklung vorstoßender Ideen und mit phantasievoll-schöpferischem Vorausdenken anstelle eines Nachdenkens, das sich nur vom Alltagstrott treiben lässt.

“Weltübergreifende geistige Offenheit und vernetzendes Denken sind gefragt”, fordert Senger.

Dabei ist vor allem neues Denken gefragt:

„Viele der heutigen digitalen Systeme und Köpfe sind aus dem alten Geist sowie den alten Strukturen geboren. Die kann man morgen in die digitale Tonne treten. Das heisst aber, wer ‚digital‘ propagiert, ohne dem Digitalen eine Richtung zu geben, propagiert in IT gegossene Alt-Scheiße“, kommentiert Netzökonomie-Campus-Kollege Winfried Felser

Die alten Wertkonzepte (Kostenrechnung) und die alten Planungslogiken seien ungeeignet, wenn nicht mehr abgegrenzte und starre „materielle“ Systeme geplant und bewertet werden sollen, sondern fluide, amorph-vernetzte Kompetenz-Netzwerke, bei denen auch nicht mehr nur Transformation und Transaktion zu beleuchten sind, sondern Competence-Networking im weitesten Sinne.

Viel Stoff für den heutigen Netzökonomie-Campus mit Käsekuchen ab 16 Uhr.

Ihr könnt Euch an der Diskussion mit dem Hashtag #nöchn beteiligen. Man hört, sieht und streamt sich 🙂

Möglichmacher oder Monopolisten? Über den Plattform-Kapitalismus der Silicon Valley-Konzerne #nöchn

Netzökonomie-Campus mit Käsekuchen
Netzökonomie-Campus mit Käsekuchen

Arno Rolf, Professor i. R. im Fachbereich Informatik der Universität Hamburg, hat einen spannenden FAZ-Gastbeitrag über den „Zustand“ der Wirtschaftsinformatik in Deutschland veröffentlicht. Sie ringe mit ihrer gestaltungsorientierten Tradition um mehr internationale Anerkennung.

„Aus diesem Dilemma einen Ausweg aufzuzeigen, bemühten sich die Altvorderen der Wirtschaftsinformatik, Ernst-August Scheer, Peter Mertens, Hans-Ulrich Buhl und Wolfgang König, in der Panel-Diskussion ‚Impact Engineering oder gesellschaftliche Verantwortung‘ auf der 12. Internationalen Tagung Wirtschaftsinformatik in Osnabrück“, schreibt Rolf.

Wie zu erwarten, prallten die Meinungen aufeinander: Trotz der Erfolge des Studienabbrechers Mark Zuckerberg beharrte Scheer auf dem Ingenieur-Habitus der Wirtschaftsinformatik und sah ihre Eigenständigkeit als Engineering-Disziplin – was mich nun überhaupt nicht wundert.

Bewunderung für kalifornische Internetkonzerne

Mertens skizzierte, dass sich die universitäre Wirtschaftsinformatik nicht hinreichend mit Gegenwarts- und Zukunftsproblemen in Gesellschaft und Wirtschaft auseinandersetzt. Die digitale Transformation zähle zu den größten Herausforderungen:

„Der Wirtschaftsinformatik ist zu empfehlen, sich schnell einen Überblick zu verschaffen, wie mit ihren Technologien ‚da draußen die Welt verändert wird'“, so Rolf.

Die Bewunderung der kalifornischen Internetkonzerne sei auch in der Wirtschaftsinformatik groß. Sie tummelten sich einmal als „Start-ups“ zwischen Garage und Universität und seien heute nah dran, die Herrscher einer „neuen“ globalen Ökonomie zu werden – was für eine Überraschung.

Vielleicht habe sich die Wirtschaftsinformatik zu lange von den SAP-Erfolgen blenden lassen und sich zu ausschließlich auf Geschäftsprozess-Modellierung konzentriert. Man müsse einfach konstatieren, dass von den kalifornischen Internetkonzernen unfassbar gebrauchstaugliche Bedürfnisse geweckt wurden und werden, von denen wir vorher gar nicht ahnten, dass diese unser Leben bereichern und bequemer machen können. Google, Amazon, Facebook & Co sind zum „Wesentlichen der Gesellschaft“ geworden.

„Die andere Seite ist, dass sie global eine Infrastruktur schaffen, die alle Bereiche der Ökonomie und Lebenswelt durchdringen und ganze Industrie- und Dienstleistungsbranchen in ihrer bisherigen Form, wenn nicht zerstören, so doch umpflügen wird“, führt Rolf weiter aus.

Das sei der Kontext, dem sich die Wirtschaftsinformatik in den kommenden Jahren stellen muss. Gleiches gilt für die BWL und VWL, die sich fast vollständig verweigern, eine belastbare ökonomische Theorie des Internets zu entwickeln.

Spinnennetze für die Weltherrschaft

Gemeinsam mit Arno Sagawe wagt zumindest Professor Rolf einen kleinen Versuch in dem Buch „Des Googles Kern und andere Spinnennetze: Die Architektur der digitalen Gesellschaft“, erschienen im UVK-Verlag.

Leider reduzieren die beiden Autoren ihre Sichtweise auf die „Herrschaftsstrategien“ der Silicon Valley-Giganten. Google und Co. hätten aus dem Netz mit ihren Geschäftsmodellen Spinnennetze gemacht, die unseren Aktionsradius bestimmen.

Beide haben wohl zuviel in den digital-pessimistischen Schriften des leider viel zu früh verstorbenen „Ökonomen“ Frank Schirrmacher geblättert, sonst wäre das Werk nicht so monokausal ausgefallen.

Wettbewerb werde ausgeschaltet, es darf nur einen Gewinner geben.

„Kompromisse sind in ihren Augen Demütigungen und Niederlagen. All das geschieht mit einer ungeheuren Geschwindigkeit. Weder notwendige gesellschaftliche Debatten noch politische Regulierungen können damit Schritt halten, schreiben Rolf und Sagawe.

Das „Wesentliche“ der digitalen Transformation sei die Zerstörung ganzer Branchen bei gleichzeitiger Monopolbildung der neuen digitalen Ökonomie.

Der Google-Gründungsmythos

An Google wollen die Wissenschaftler zeigen, wie sich die Spinnennetze in kurzer Zeit entwickeln konnten. Am Anfang stand eine bestechende Innovation, die die Konkurrenz alt aussehen ließ. Gemeint ist die Fähigkeit, Suchergebnisse aufgrund ihrer Zitterhäufigkeit zu ranken und sie für den Nutzer attraktiver und schneller bereitstellen zu können.

„Firmen, die Werbeanzeigen schalteten, kamen schnell hinzu und schafften die finanzielle Basis, um die Führungsrolle in diesem Plattformsegment übernehmen zu können.“

Was für ein Quatsch.

Die Google-Gründer suchten krampfhaft nach Erlösquellen und hatten am Ende trotz interner Widerstände gar keine andere Wahl, als auf die Einführung eines Anzeigensystems zu setzen. Was heute unter „Adwords“ läuft und immer noch über 90 Prozent der jährlichen Umsätze des Suchmaschinen-Giganten absichert, könnte schon morgen der Sargnagel für den Mountain View-Konzern bedeuten, da Konzepte für die mobile Welt fehlen und die reine Suchfunktion weniger relevant wird.

Schaffen „anarcho-kapitalistische“ Plattformen wie Google, Facebook, Amazon oder Airbnb automatisch Monopole, um heimtückische Spinnennetze zu weben und den Wettbewerb auszuschalten oder sind es eher Möglichmacher-Plattformen, um den Konzern-Platzhirschen mehr Dampf zu machen?

Wo vorher Medienkonzerne, Handelsriesen und Industriegrößen ihre Macht gegenüber Lieferanten und Konsumenten ausspielen konnten, treten neue Akteure, die mit den Jedermann-Werkzeugen des Netzes zu Produzenten werden. Ohne Massenfertigung, ohne Zugangskontrolle und ohne Konzernstrukturen. Was wir erleben und endlich ohne Wehklagen zur Kenntnis nehmen sollten, so Professor Peter Wippermann vom Hamburger Trendbüro, ist die Auflösung von Normen der Industriekultur. Es geht um die Individualisierung des Konsums. Anbieter können sich nicht mehr hinter Industrielobbyisten, Schutzrechten, Meisterbriefen und Innungen verstecken, sondern müssen sich stärker auf die individuellen Präferenzen der Konsumenten ausrichten.

Handelskonzerne werden entmachtet

Globale oder regionale Plattformen ermöglichen es jedem Einzelnen, Kontakte zu Anbietern aufzunehmen, die früher nicht möglich waren, betont Wippermann im ichsagmal.com-Interview. Über mobile Applikationen bekommt man Auswahlsysteme, um selber mit Knopfdruck Konsumentscheidungen zu treffen, ohne staatliche Vorgaben und Platzhirsch-Gebaren von Dienstleistern und Produzenten. Globale und lokale Plattformen bauen Hierarchien ab, die normalerweise von Händlern und Produzenten gehegt und gepflegt werden. Deshalb geht die Kritik am Plattform-Kapitalismus, der mächtige Meta-Händler hervorbringt, wie es Sascha Lobo in seiner „Spiegel“-Kolumne skizziert, an der Realität vorbei. Wir erleben tatsächlich ein Ende der klassischen Mittelsmänner, die über Preisdiktate ihre Dominanz zelebrierten. Beispielsweise die fünf großen Handelskonzerne in Deutschland, die 80 bis 90 Prozent des Marktes beherrschen und mit ihrer Einkaufsmacht nach Belieben in den Herbstgesprächen Produzenten knechten.

Uber, eBay, Amazon und lokale Netzwerke sind nach Ansicht des Kölner Wirtschaftshistorikers Klemens Skibicki in erster Linie perfekte Matching-Plattformen, um Anbieter und potenzielle Käufer in Verbindung zu bringen. Bei den globalen Plattformen besteht das erste Mal auch für kleine Manufakturen und Dienstleister die Möglichkeit, weltweit die eigenen Produkte zu vermarkten und direkt mit Kunden in Kontakt zu treten. Mit den Handelskonzernen war dies nicht möglich.

Ökonomische Debatte ohne ökonomisches Wissen

Was wir im Streit um den so genannten Plattform-Kapitalismus und die Share Economy erleben, sei eher eine Vulgarisierung der ökonomischen Debatte, kritisiert Skibicki, Professor für Economics, Marketing und Marktforschung an der Cologne Business School. Man argumentiere mit Kampfformeln, aber nicht mit volkswirtschaftlichen Kenntnissen. Etwa bei Begriffen wie Dumping-Preisen oder Dumping-Löhnen oder der von Sascha Lobo beschriebenen Dumping-Hölle, die uns die Netz-Plattformen bescheren.

„Dumping bedeutet, dass ich unterhalb meiner Kosten anbiete, um Konkurrenten zu verdrängen. Das kann man in jedem VWL-Lexikon nachschlagen.“

In Wahrheit gehe es um die Senkung der Transaktionskosten.

„Anbieter und Nachfrager können sich so einfach finden wie nie zuvor. Viele Zwischeninstanzen sind nicht mehr nötig“, sagt Skibicki.

In einer digitalen Welt gibt es unendlich viele Kombinationen für neue Dienste und Produkte, die selbst die Big Data-Analysten nicht antizipieren können – auch wenn sie noch soviel Datenschrott sammeln. Es gibt zu viele Variablen, weil immer auch unvorhersagbares menschliches Verhalten eine Rolle spielt. Oder wie es Douglas North, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, ausdrückt:

„Der Preis der Präzision (von theoretischen Modellen, gs) ist die Unfähigkeit, Fragen des realen Lebens zu behandeln.“

Wie Parasiten und Kopisten die Stille der Monopolisten stören

In den netzökonomischen Diskursen sollte man mehr auf Sicht fahren und überlegen, wie man die amerikanischen Plattformen für das eigene Business nutzen kann. So kehrt man das parasitäre Gedankengut der kalifornischen Monopolfetischisten ins Gegenteil. Parasiten, Hacker, Daten-Piraten, Wissensdiebe, Kopisten und Collage-Künstler können in diesem Spiel höchst nützliche Zeitgenossen sein. Sie stören die Monopolisten.

„Die Macht suchte und sucht das Zentrum einzunehmen. Wenn sie von diesem Zentrum aus wirken, ihre Wirksamkeit bis an die Grenzen des Raumes entfalten, wenn sie bis an die Peripherie reichen soll, so ist es notwendig, dass es kein Hindernis gibt, dass der Raum um ihre Aktion homogen ist. Kurz, der Raum muss frei von Rauschen, von Parasiten sein. Um Gehorsam zu finden, muss man gehört, muss man verstanden werden, muss die Ordnungsbotschaft Stille vorfinden“, schreibt der Philosoph Michel Serres in seiner Abhandlung „Der Parasit“.

Parasiten stören die Stille. Das ist uns übrigens schon einmal perfekt gelungen. Besonders die deutsche Industrie, konnte ihre Rückständigkeit Ende des 19. Jahrhunderts nur durch kluge Imitation kompensieren.

„Wie heute die Chinesen, haben damals deutsche Maschinenbauer ausländische Erfolgsmodelle in großem Stil eingekauft: Sie zerlegten die Maschinen in England und bauten sie im Siegerland oder im Schwäbischen neu auf. Durchs Nachmachen zu Erfahrung gekommen, haben die Deutschen sodann ihre Maschinen billig ins Ausland verkauft“, berichtet Rainer Hank von der FAZ.

Er verweist auf ein besonders dreistes Kopistenwerk in Solingen. Dort wurden minderwertige Messer aus Gusseisen hergestellt und mit dem Stempelaufdruck „Sheffield“ veredelt – das galt damals als Markenzeichen der englischen Messerproduktion.

„Ironie der Geschichte: Als Abwehrmaßnahme zwang England Deutschland das Label ‚Made in Germany‘ auf, damit man die mindere Ware erkennen sollte. Aber den Deutschen gelang es, das Stigma zum Qualitätssiegel umzuschmieden“, so der FAZ-Redakteur.

Degradieren wir die Silicon Valley-Aufschneider zu nützliche Idioten einer Ökonomie, die mehr Zugänge und Kompetenzen für wirtschaftliche Aktivitäten liefert.

Genügend Futter für den vierten Netzökonomie-Campus mit Käsekuchen am Sonntag, den 3. Mai – diesmal bei Jürgen Stäudtner in Hilden.

Siehe auch meine The European-Kolumne zum Thema – etwas komprimierter.

Weiterer interessanter Bericht: The Lepore-Christensen Debate – A repeatable pattern for Platforms and Disruptive Innovation.

Und auch: UBER, THE NETWORK ECONOMY AND WHY WE NEED A SYSTEM UPGRADE.